Betritt man heute eine Schweizer Apotheke, wird man fast immer von einer Frau bedient. Kein Wunder: Etwa 80% der eidgenössischen Diplome in Pharmazie an Schweizer Universitäten werden an Frauen erteilt. Das war nicht immer so.
Anna Kupfernagel, Anna Wider, Katharina Offenburg: Bereits im 14. Jahrhundert gab es Frauen, die als Apothekerinnen bekannt und akzeptiert waren. Pharmazeutisches Wissen wurde dabei häufig über Spitalschwestern-Gemeinschaften, Kloster- und Spitalapotheken weitergegeben.
Hohe Lehrgelder und Prüfungsgebühren sowie die Dauer der Ausbildung, die vom Lehrling über den Gesellen zum Meister ging, verunmöglichten den jungen Frauen jedoch den Zugang zur Apothekerlehre. So waren sie häufig als "Kräuterfrauen" oder "Wasserbrennerinnen" tätig, die Kräuterauszüge in Alkohol als Heilmittel verkauften.
Die Zünfte verdrängen "Weibspersonnen"
Nach dem Mittelalter drängten immer restriktivere Bestimmungen die Frauen an den Rand: In Basel beispielsweise wurden sie ohne abgeschlossene Lehre nicht in die Zunft aufgenommen. Und ohne Zunftmitgliedschaft durfte der Apothekerberuf nicht ausgeübt werden.
Die Schaffhauser Apothekerverordnung von 1611 verbietet "Weibspersonnen" explizit, Arzneien zu verkaufen. Allenfalls Gewürze durften sie noch über den Tresen reichen. Dass Frauen den Beruf des Apothekers er-lernen könnten, schliesst die Berner Medizinalordnung von 1645 kategorisch aus. In anderen Regularien werden sie auf eine gleich unselbständige Stufe mit Kindern gestellt.
Begehrt: Die Apothekerwitwen
Die Apothekerwitwen erbten das sogenannte Apothekenprivileg, das zum Betreiben einer Apotheke in Basel erforderlich war. Weil die Anzahl Apotheken limitiert war, waren die Witwen ausgesprochen begehrt auf dem Heiratsmarkt: besonders bei den Apothekergesellen.
Präsent, aber unerwünscht: die Ehefrauen
In der Mitte des 18. Jahrhunderts steigen die Ansprüche an die Ausbildung der Apotheker deutlich: Sie wird immer wissenschaftlicher. Frauen ist der Zugang nach wie vor verwehrt. Mehr noch: Jegliche Verkaufstätigkeit in der Apotheke wird ihnen um 1800 verboten. Da dieses Verbot in sehr vielen Dokumenten erwähnt wird, ist anzunehmen, dass eben doch viele Frauen in der Apotheke ihres Ehemannes mitarbeiteten. Zum Teil führten sie die Apotheke nach dessen Tod weiter.
Frauen als "Gehülfen"?
Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Zünfte und Gesellschaften sich mit der Frage zu beschäftigen, ob man Frauen in der Apotheke nicht doch gebrauchen könnte. Sie diskutierten die "Gehülfenfrage": Taugten Frauen eventuell als Assistentinnen?
Vieles sprach dagegen: "Wenn man nun Frauen die Bereitung von Arzneien anvertrauen würde, so vermehrten sich die Fälle von Vergiftung aus Unvorsichtigkeit gewiss in beträchtlicher Zahl", heisst es 1882 in einer Apothekerzeitschrift. Frauen seien zudem schwatzhaft und unfähig, "zu irgendeiner Arbeit, welche ein Zusammenfassen der Gedanken und eine ununterbrochene Aufmerksamkeit erforderte".
Universitäre Ausbildung für beide Geschlechter
Während diese Diskussionen in der Schweiz die Emotionen hochkochen liessen, schlossen in anderen Ländern Europas Frauen bereits ihr Pharmaziestudium ab. Dann tat sich auch in der Schweiz etwas: Der Schweizer Apothekerverein (SAV) verkündet 1887, dass Frauen offiziell zum pharmazeutischen Examen zugelassen werden. Was nicht bei allen gut ankommt. Die Debatten ziehen sich jahrelang weiter.
So findet auch der Präsident des SAV noch 1902: "Pfropfen wir den Mädchen viel theoretisches Wissen in den kopf, so machen wir nichts als langweilige überschraubte Dinger aus ihnen:" Er und konservative Apothekerkreise plädieren für zwei Ausbildungswege: der geringer qualifizierte für Frauen, damit sie als Gehilfinnen arbeiten können. Die Frauenbewegung macht den Herren jedoch einen Strich durch die Rechnung und erstreitet Anfang des 20. Jahrhunderts das Recht auf universitäre Ausbildung für Frauen.
Die erste diplomierte Schweizer Apothekerin: Clara Winnicki
Es wurde 1905, bis sich Clara Winnicki als erste Schweizerin ein Diplom holte. Als engagierte Vorkämpferin für eine gleiche Ausbildung von Männern und Frauen publizierte sie streitbare Schriften, in denen sie mit Ironie und Witz die Vorurteile ihrer männlichen Kollegen aufdeckte.
In ihrer Bieler Apotheke stellte sie verschiedene Hausspezialitäten her, wie das Kopfwehmittel Migrainite oder die Pilules roses gegen "Bleichsucht, Blutarmut und alle Schwächezustände".
Werbeveranstaltungen: Studiert Pharmazie!
Zu dieser Zeit mangelte es in Schweizer Apotheken bereits an Personal. Arbeitskräfte aus dem Ausland wurden angestellt, vor allem Holländerinnen als Assistentinnen. Mit dem Ausbruch des ersten Weltkriegs verschärfte sich das Problem. Die Pharmazeuten rückten in den Militärdienst ein und die ausländischen Gehülfen kehrten in ihre Heimat zurück. Was tun? Man ermutigte die Schweizer Frauen zum Pharmaziestudium, mit Werbe-veranstaltungen an Gymnasien und Töchterschulen. Erfolgreich: Die Zahl der diplomierten Apothekerinnen stieg.
Unerwünschte weibliche Konkurrenz
Die Freude über diese Entwicklung währte jedoch nicht lange: Viele Männer hatten gedacht, die studierten Frauen würden sich mit Assistenzstellen zufrieden geben. Dass sie Konkurrentinnen wurden, hatten sie nicht einkalkuliert. 1933 betrug der Anteil der diplomierten Frauen bereits 36 Prozent.
Eine "Überfüllung des Standes" sei dies, heisst es 1934 in einer Eingabe des SAV bei Bund und Kantonen, der eine Zulassungsbeschränkung der Frauen für das Pharmaziestudium fordert. Der Grundsatz, dass die Frau ins Haus gehört, muss besonders in Krisenzeiten und bei der allgemeineren Arbeitslosigkeit wieder mehr Beachtung finden", solche Argument werden laut. "Eine arbeitslose Tochter kann in ihrer Familie oder Verwandtschaft immer irgendwie unterkommen."
Unerschrockene Pionierinnen
Die Pharmazeutin Hermine Raths (1906-1986) und die Chemikerin Marguerite Steiger (1909-1990) kauften als Studentinnen die Elefanten-Apotheke in Zürich. Unternehmerisch mutig und innovativ bauten sie eine Firma für den Vertrieb von Medikamenten auf. So erwarb Marguerite Steiger beispielsweise die Importlizenz für Penicillin, bevor die Konkurrenz dessen Bedeutung erkannte. Ihr Vermächtnis ist die OPO-Stifung, die heute noch Projekte aus Wissenschaft und Forschung, speziell Pharmazie, Natur-wissenschaften und Medizin, unterstützt.
Der Trend bleibt bestehen
"Je nach Konjunkturlage warb man Frauen für den Apothekerberuf an oder wollte sie wieder zu Kindern und Küche schicken", fasst Pharmazeutin Brigette Zurbriggen zusammen, deren Dissertation "Und speziell Damen wandten sich scharenweise dem pharmazeutischen Studium zu..." das Thema ausführlich beleuchtet.
Der Trend liess sich aber nicht mehr wenden: Seit den 1940-er Jahren sind Pharmaziestudentinnen in der Mehrzahl, seit den 1980-er Jahren stellen Frauen auch als Apothekerinnen in der Offizin die Mehrheit. Die Lehre an der Universität blieb jedoch lange eine Männerbastion. Eine Pionierin war hier Irma Tschudi-Steiner (1912-2003), die erste Professorin für Pharmazie, die an den Universitäten Bern und Basel lehrte - bis zu ihrem 70. Lebensjahr.
Vielseitige Berufschancen für Frauen
Zurzeit werden etwa 80 Prozent der eidgenössischen Hochschuldiplome im Fach Pharmazie an Frauen vergeben. "Dabei eröffnet das heutige Studium mit seinem modularen Aufbau immer mehr auch ausserhalb der Offizin in-teressante Karrieremöglichkeiten - zum Beispiel in der Spitalapotheke oder in der Industrie", sagt Brigitte Zurbriggen. "Produktion, Produkte-entwicklung, Forschung, Marketing, Projektleitung oder die Registrierung von Medikamenten bieten Pharmazeutinnen interessante Berufsfelder."
Autorin:
Mareike Fischer, Texterin bei Klarkom
Artikel aus:
175 Jahre Schweizer Apothekerverband, Schrift zum Jubiläum von 2018
Herausgegeben vom Schweizer Apothekerverband, Liebefeld